Energieabhängigkeit, Krieg und Kopftücher

von Barbara Gysel, 27. September 2022

Die Energiekrise ist in aller Munde. Weitherum wird die Forderung nach energetischer Versorgungs­sicherheit immer lauter. Mit rund 75% Gesamtenergie­import ist die Schweiz stark vom Ausland abhängig. In der Stadt Zug weiss man, dass noch vier Fünftel (!) der Heizungen auf fossilen Energie­quellen beruhen. Deshalb plädiere auch ich klar für eine verstärkt heimische Energie­produktion.

Es sind nicht nur drohende Versorgungs­lücken und die Klimakrise, die uns dazu drängen, sondern auch das Gebot der Recht­mässigkeit und der Menschen­rechte. Unsere Gasimporte etwa stammten im letzten Jahr zu 43% aus Russland. Die kriegs­bedingte Liefer­beschränkung bringt nun halb Europa in die Bredouille. Aber von einem Staat wie Russland, der seit März mit seinem Krieg das Völker­recht und die Mensche­nrechte verletzt, dürfen wir nicht länger abhängig sein und ihn durch Gaskäufe auch nicht stärken.

Das Gebot der Menschen­rechte gilt für alle Staaten. Und deshalb scheint es mir verwerflich, wenn westliche Länder nun in Saudi-Arabien oder im Iran mehr Erdgas einkaufen wollen. Ich erinnere an den 2018 im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul auf brutalste Weise ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi. Oder an die saudischen Massen­hinrichtungen von hauptsächlich schiitischen Männern in diesem Jahr. Oder an die vielen saudischen Frauen, die in goldenen Käfigen leben. Menschen­rechte werden auch im Iran mit Füssen getreten. Das zeigt der Fall der jungen Iranerin Mahsa Amini, die von der Sitten­polizei verhaftet wurde, weil ihr Kopftuch verrutscht war und die in der Folge starb. Seither ist der Iran in Aufruhr und Frauen verbrennen öffentlich die verhassten Kopftücher, deren Tragzwang für sie ein Symbol der Unter­drückung ist. Hier ist unsere Solidarität gefordert. Vorbei sind hoffentlich die Zeiten, in denen der schweizerische Bundesrat – wie 2008 unsere damalige Aussen­ministerin – für Gas­liefer­verträge in den Iran fuhren, sich das Kopftuch überzogen und ihre Amtskollegen nebenbei an die Einhaltung der Menschen­rechte erinnerten. Weder in Russland noch in Saudi-Arabien noch im Iran oder sonstwo dürfen wir Menschen­rechts­verletzungen als das „kleinere Übel“ schlucken, weil wir unseren Energie­bedarf decken wollen. Denn Menschen- und Freiheits­rechte gelten für alle und sind verbindlich.

In Sachen Energiestrategie sollten wir uns auf zwei Dinge fokussieren: einerseits auf die Mehr­investition in einheimische (und umwelt­verträgliche!) Energien – der Kantonsrat berät dazu nun eine wichtige Vorlage –, andererseits auf die Mässigung im Verbrauch. Dafür müssen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zusammen innovativ und solidarisch handeln. Ohne Ideologie­streit, sondern mit pragmatischen Lösungen und nicht im Karacho, sondern mit geduldigen umsichtigen Übergangs­lösungen. So gestalten wir den Energie­wandel und den Umschwung zu mehr einheimischen Energien auch sozialverträglich.

Barbara Gysel, Kantonsrätin, Stadtratskandidatin

Barbara Gysel

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