Leserbrief von Dolfi Müller
Bei den Stadtratswahlen 2010 geschah ein kleines Wunder: Die Linke holte mit weniger als 40 % der Stimmen eine 60%-Mehrheit im Stadtrat. Ein Triumph dank viel Proporz-Glück, über den ich mich dennoch nur mässig freuen konnte. Das Resultat entsprach schlicht nicht den Mehrheitsverhältnissen in unserer Stadt.
2014 kam der Majorz. Beim dritten Anlauf war das Fuder im Trockenen. Insbesondere die CVP hatte damit im Kanton Zug eine veritable Wahlmaschine geschaffen, die sie fast schon wieder von längst vergessenen Zeiten träumen lässt, als sie diesen Kanton noch dominierte. Einen wichtigen Unterschied gibt es allerdings: Bis in die 1970er-Jahre hatte die CVP tatsächlich eine absolute Mehrheit in der Zuger Bevölkerung – heute vertritt sie noch einen guten Viertel. Ähnlich wie die Linke im Kanton Zug, die statt drei gar keinen Regierungsratssitz hat.
Warum funktioniert diese Wahlmaschine für die klassischen bürgerlichen Parteien so gut?
Es ist die reine Mathematik: Wo die linke Minderheit die kritische Masse von über 30 % der Wählenden nicht erreicht, rahmen die bürgerlichen Parteien die neu zu besetzenden Regierungssitze ab. Die Zuger Regierungsratswahl 2018 mit immerhin 3 Vakanzen ist ein gutes Beispiel dafür.
Bisherige haben im Majorz ihre Wahl fast auf sicher, was auch für Linke gilt. Deshalb überwiegen bei den aktuellen Zürcher Regierungswahlen die im Amt ergrauten Häupter. Das mag gut sein für die Kontinuität, kann aber auch in Sesselkleberei und Parteienkalkül ausarten.
Umso wichtiger ist die Frage: Wie steht es um die Wahlchancen für Neue im Zuger Majorz? Oder konkreter: Wäre der junge Hanspeter Uster 1990 im Majorz Zuger Regierungsrat geworden?
Die Wahlmaschine würde es wohl verhindern: Wer neu in die Zuger Regierung will, muss vor allem eines haben – ein Parteibuch der Mitte oder der FDP – weniger der SVP, die bald mal ihre Bisherigen ersetzen muss. Den Rest erledigt die Mathematik, solange die Mehrheitsverhältnisse im Kanton Zug so sehr in Stein gemeisselt sind. Die grosse Klippe für aufstrebende Bürgerliche ist somit nicht die Volkswahl, sondern die Nomination in der eigenen Partei. Eine betont konservativ-wirtschaftsfreundliche Haltung dürfte dabei hilfreich sein.
Und hier schliesst sich der Kreis: Ein gewichtiger Teil der Zuger Bevölkerung passt nicht in dieses Schema, müsste aber in der Schweizer Konkordanzdemokratie, wo es um Interessenausgleich geht, in der Regierung vertreten sein. Der freiwillige Proporz als mögliche Lösung kommt den siegestrunkenen Wahlgewinnern nicht einmal mehr in den Sinn, auch wenn es vor 10 Jahren noch anders tönte.
Deshalb mein Appell an Wählerinnen und Wähler, denen es irgendwie schwerfällt, Linke zu wählen. Springen Sie über Ihren Schatten und bringen Sie die Zuger Wahlmaschine ins Stottern – unsere Demokratie braucht kritische Gegenstimmen in der Regierung.
Dolfi Müller
SP Stadtpräsident von Zug von 2007 bis Ende November 2018