Zuger Ansichten. Zuger Zeitung, 5. November 2022
Den grössten Teil meines bisherigen Lebens habe ich in Hünenberg resp. im Kanton Zug verbracht. Das Aufwachsen in diesem Kanton hat mich massgeblich geprägt. Hier erkenne ich jede noch so kleine Veränderung: Bäume, die gefällt wurden, jedes neue Bauprojekt und die Wechsel im S-Bahn-Fahrplan.
Der auf Hochglanz polierte Kanton Zug – flexibel in den Moralvorstellungen, solange es um Profit geht aber bloss nicht beim gesellschaftlichen Zusammenleben – gibt mir dennoch oft das Gefühl, hier nicht richtig reinzupassen. Ich ertappe mich immer wieder, wie ich mich fremd und befremdet vom Schein und Sein dieses Kantons fühle.
Und dabei habe ich doch mein Bewusstsein für Natur und Umwelt bei zahlreichen Spaziergängen im Langholzwald sowie im Unterricht an den Hünenberger Schulen erhalten. Mein soziales Bewusstsein kommt davon, dass ich früh beobachtete, wie psychische Krankheiten in dieser scheinbar perfekten Zuger Welt totgeschwiegen werden und wie sie dazu führen können, dass selbst Freund*innen von einem Tag auf den anderen zu Unbekannten werden. Denn nur wer in diesem System funktioniert, gehört auch dazu. Meine Hartnäckigkeit kommt davon, dass meine Wissbegierigkeit in der Schule als nervig abgetan wurde und ich gelernt habe, mir meine eigenen Wege zu suchen. Aussagen wie «Das isch nüt für Meitli» stärkten meine Motivation, mich kritisch mit unserer Gesellschaft auseinanderzusetzen. Mein Feminismus kommt von den starken Frauen um mich herum, die mir vorgelebt haben, dass wir uns von patriarchalen Strukturen nicht unterkriegen lassen sollten. Schliesslich hat mich jede Hassnachricht stärker gemacht, weil sie zeigt, wie zerbrechlich dieses System (und seine Männlichkeitsbilder) sind.
Und doch merke ich immer wieder, dass es nicht nur mir so geht und sich viele Menschen in diesem Kanton Tag für Tag beim Arbeiten, in Vereinen, in Kultur und Kunst, bei wohltätigem Engagement oder in der Politik für einen anderen Kanton Zug einsetzen und sich nicht unterkriegen lassen. Meine Kolumne ist ihnen gewidmet. Dem Bild einer Kapitale des Kapitals für nur wenige Privilegierte setzen sie weiterhin eine Vision des Kantons entgegen, in dem alle Platz haben und dessen Bekanntheit nicht einzig von den tiefen Steuern herrührt.
Es ist Euer Engagement, das heute Mädchen inspiriert, wie ich eines war. Darum an dieser Stelle ein Dank an die Eltern, welche die Fragen ihrer Mädchen nicht als nervig abtun und sie zur Selbstbestimmung befähigen, und an die Lehrpersonen, welche kritische Diskussionen fördern. An die Menschen, die alternative Räume in unserem Kanton schaffen und an die Künstler*innen, welche mit ihrer Kunst zum Umdenken anregen. Dank gebührt auch den Jugendlichen, die sich mit Protesten gegen die Klimazerstörung wehren, und an die Politiker*innen, welche trotz tristem Politikalltag immer noch Visionen in sich tragen. Wir sind nicht allein und werden es nie sein. Denn unsere Arbeit sorgt dafür, dass Menschen die Zustände in unserem Kanton und in unserer Gesellschaft hinterfragen. Unsere Hoffnung für Veränderungen in der Zukunft bringt Visionen in diesen Kanton, unsere Solidarität ist das gelebte Gegenbeispiel und unsere Arbeit macht einen Unterschied.
Herzlichen Dank Euch allen. Nach meiner Abwahl weiss ich noch nicht, welches Projekt ich als nächstes angehe. Allerdings weiss ich, dass mich dieser Kanton mit dem nötigen Rüstzeug, Hartnäckigkeit und Radikalität ausgestattet hat, um Teil jener feministischen und ökologischen Veränderung zu sein, welche diese Gesellschaft so dringend braucht.
Virginia Köpfli, SP Kantonsrätin, Hünenberg