Rede zum 1. Mai 2012 – Tag der Arbeit

1. Mai 2012

„Auf Grund von Restrukturierungen in der Firma sind wir gezwungen, den Arbeitsvertrag mit Ihnen unter der Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist von drei Monaten per 31. Juli 2012 zu kündigen. Wir danken für Ihre Mitarbeit und wünschen Ihnen für Ihre weitere berufliche Zukunft alles Gute.“

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, werte Anwesende.

Sie ahnen es richtig, dies ist ein ganz einfaches, auf zwei Zeilen beschränktes Kündigungsschreiben. Aus unserer Perspektive ist diese Kündigung nichts besonderes. Aus der Perspektive der Angestellten, welche in knapp drei Monaten ihren Arbeitsplatz räumen muss, hat dieses plumpe Schreiben wohl oder übel einen tiefen Schnitt hinterlassen. Wieso auch nicht? Hat sie doch über 21 Jahre für die hünenberger Gewürzfabrik unermüdlich geschuftet. Die gekündigte Arbeitnehmerin hat selten an ihrem Arbeitsplatz gefehlt. Zuletzt jedoch knapp einen Monat lang aufgrund einer Krankheith. Sie wäre noch weitere zwei Wochen krankgeschrieben gewesen. Aus Angst vor einer Kündigung ging sie aber dennoch früher zur Arbeit. Am zweiten Tag nach der Reintegration in den Arbeitsprozess erhielt sie das eingangs erwähnte Kündigungsschreiben in die Hand gedrückt.

21 Jahre meine Damen und Herren. Das ist, entschuldigen Sie bitte meinen Ausdruck, eine verdammt lange Zeit. Und der Arbeitgeber verabschiedet sich von einer solch treuen Mitarbeiterin mit zwei ganz einfachen, plumpen Sätzen. Und dies am zweiten Tag, nachdem sie nach einer Krankheit zurück an den Maschinen steht.

Ich frage Sie, werte Anwesende, welcher Respekt wird einer solchen Arbeitnehmerin eigentlich entgegengebracht? Welche Wertschätzung für ihre Arbeit, ihre Loyalität, ihren Fleiss?

Für mich persönlich ist Respekt ein wichtiger Begriff. Und Respekt hat auch und vor allem mit dem Umgang zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden zu tun. Dazu zählt auch die soziale Verantwortung der Arbeitgeber. Eine Pflicht, aus der sie sich leider immer mehr Patrons zurückziehen.

Für das hünenberger Unternehmen dürfte klar sein, dass die Mitarbeiterin, welche sie soeben entlassen hat, wohl kaum eine Chance auf eine neue Anstellung haben wird. Hat sie doch während den vergangenen 21 Jahren nichts anderes, als die monotone Arbeit im selben Betrieb gemacht. Eine Weiterbildung war nie vorgesehen. Und war sie doch, während ihrer Fabrikarbeit nie direkt gezwungen Deutsch zu sprechen, zumal in diesem Hungerlohnsegment der Grossteil ihrer Arbeitskolleginnen ausländischer Herkunft waren. Aus lernpsychologischer Sicht wissen wir zu gut, dass man nur etwas lernt, wann man es denn auch wirklich für den Alltag braucht.

Dem hünenberger Unternehmen dürfte klar sein, dass die 54-Jährige nun ab dem 31. Juli 2012 während einer längeren Zeit beim RAV ein- und ausgehen wird. Und wenn sie innert gesetzlicher Frist keine weitere Anstellung findet, dann muss sie wohl oder übel beim Sozialamt der Gemeinde anklopfen. Dabei wäre sie eigentlich noch weiter motiviert gewesen, um für weniger als 3000.- Franken, soviel hat sie zuletzt verdient, tagtäglich zu arbeiten.

Aus meiner Sicht nimmt ein solcher Unternehmer die soziale Verantwortung, die Arbeitgeber nun einmal tragen, nicht wahr. Wenn es um Gewinne geht, dann streicht man diese gerne ein und bezahlt möglichst wenig Steuern an die Allgemeinheit. Verluste hingegen werden gerne sozialisiert – wir als Allgemeinheit tragen nämlich dann die Kosten, wenn eine Person keine Anstellung findet.

Doch nicht nur Unternehmer stehen in der sozialen Verantwortung. Auch die Politik ist – wenn nicht sogar stärker – in die soziale Verantwortung eingebunden. Denn diese legt die Spielregeln für die Wirtschaft fest. Und die Politik darf sich keineswegs einseitig nach den Interessen von Unternehmern und Wohlhabenden richten – sondern muss auch die Lebenssituation von einfachen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern berücksichtigen. Denn diese brauchen, wie das eingangs erwähnte Beispiel zeigt, am meisten Schutz. Wenn dieser Schutz nicht von der Politik eingefordert wird, dann wird wohl kaum ein Unternehmer von sich aus bessere Arbeitsbedingungen schaffen. Meine Damen und Herren,

  • gäbe es keine dreimonatige Kündigungsfrist, würde die entlassene Mitarbeiterin wohl oder übel bereits heute auf der Strasse stehen.
  • gäbe es keine Regelung von mindestens 4 Arbeitswochen Ferien, würden wohl kaum alle Unternehmen diesem Arbeitsschutz Folge leisten.
  • hätten Arbeitnehmende nicht aufbegehrt und sich für einen besseren Altersschutz eingesetzt, wäre am 6. Juli 1947 wohl kaum das AHV-Gesetz angenommen worden.

Werte Anwesende, die Geschichte hat uns immer wieder gelehrt: wir müssen uns ständig für faire und erträgliche Arbeitsbedingungen einsetzen. Denn diese erhalten wir nicht einfach so geschenkt.

Klar, Unternehmen brauchen auch Freiräume für ihr wirtschaftliches Handeln – sie völlig einzuschränken wäre kontraproduktiv. Aber wir müssen letztendlich dennoch vor allem an die Menschen denken. An einfache Arbeiterinnen und Arbeiter – es sind nämlich diese, welche die wahre Wertschöpfung vollbringen.

Dies ist in unserem beschaulichen Kanton nicht anders. Nur haben leider alle anderen um uns das Gefühl, dass es in Zug sowieso keine einfachen Arbeitnehmenden mehr gibt.

Outet man sich irgendwo ausserhalb unserer Kantonsgrenzen als Zuger, wird man schnell einmal als reicher Steuersparer abgestempelt. Obwohl ich mich jedes Mal darüber aufrege, kann ich diese Pauschalverurteilung einigermassen verstehen. Der Kanton Zug verzeichnet nämlich die grösste Millionärsdichte in der Schweiz. Durchschnittlich 4,3 Millionen Franken besitzt der Zuger Millionär. Mit unserer Tiefsteuerpolitik locken wir weiterhin insbesondere Wohlhabende innerhalb unserer Kantonsgrenzen. Stehen Sie doch einmal für ein paar Minuten an die Zugerstrasse und zählen Sie die Ferraris, Porsches oder Range Rovers. Sie werden überrascht sein, wie hoch die Dichte der Luxuskarossen auf unseren Strassen ist.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich möchte auf keinen Fall irgendwelchen Neid versprühen oder mit dem Finger auf andere zeigen. Ich möchte einzig darauf aufmerksam machen, dass selbst in unserem Kanton – obwohl wir bezüglich Lebenskosten in der Championsleague spielen – noch Zentausende einfache Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer leben. Menschen, die von einer umsichtige Politik für ALLE abhängig sind. Menschen, deren Leben davon abhängig ist, wie die Spielregeln für Wirtschaft und Gesellschaft ausgelegt werden.

Menschen, die in unserem Kanton langsam aber sicher an ihre Grenzen kommen: Arbeitsdruck, Lohndruck und auch konstant steigende Lebenskosten machen unserer Arbeiterklasse das Leben schwer. Obschon das Durchschnittseinkommen im Kanton Zug um fast 80 % über dem Schweizer Mittel liegt, haben die einfachen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer weniger Geld im Portemonnaie. Beim frei verfügbaren Einkommen – also nach Abzug von Fixkosten wie etwa Steuern, Wohnkosten und Versicherungskosten – lag der Kanton Zug im Jahr 2006 auf dem 6. Rang. 2011, nur 5 Jahre später, lag unser Kanton bereits auf dem 19. Rang. Die breite Zuger Bevölkerung hat also am Ende des Monats weniger Geld in der Tasche, als die Menschen in 18 anderen Kantonen. Und dies trotz tiefen Gesundheitskosten, kurzen Pendelwegen etwa nach Zürich und legendär tiefen Steuern.

Neuste Studien haben uns gelehrt, dass eine Politik einzig für Reiche den Nicht-Reichen nicht nur nichts nützt, sondern gar schadet. Schlagen Sie einmal das Amtsblatt auf und suchen sie nach einer bezahlbaren Wohnung für junge Familien. Suchen einmal nach einer bezahlbaren Wohnung für jemanden, der einen bodenständigen Beruf hat – in dem er sich noch die Finger schmutzig macht.

Wissen Sie, werte Anwesende, vielleicht bin ich ein Idealist. Aber ich finde, dass jede Person, welche von morgens um 7.00 bis abends um 6.00 Uhr durchgehend krampft, die Lebenskosten für sich und die Familie tragen können muss. Wo bitte bleibt der Stolz, wenn ich mich abrackere und letztendlich nicht einmal meine Familie durchbringen kann?

Der Gewerbeverband jammert zurecht, dass heutzutage kaum jemand eine Lehrausbildung in einem gewerblichen Beruf einschlägt. Einen Beruf, in dem man sich halt noch die Hände ein wenig schmutzig macht. Man spricht dann oft von einem Gesellschaftsphänomen.

Ja, unsere Gesellschaft driftet zunehmend ab. Unsere Jugend orientiert sich oftmals an Luxuskarossen, teuren Modeartikeln und einem Jet-Setter leben. Wir können es ihnen aber keineswegs verübeln. Denn unsere Zuger Politik hat sich seit mehreren Jahren kontinuierlich darauf ausgelegt, dieser High-Society das Leben noch schmackhafter zu machen.

Eine bodenständige Arbeit wird erst dann wieder interessant, wenn die Rahmenbedingungen attraktiv gestaltet werden.

  • Dann, wenn man am Ende des Monats für Fleiss, Mühe, Einsatz und Loyalität entsprechend entlohnt wird.
  • Dann, wenn man damit den Lebensunterhalt für sich und seine Familie erwirtschaften – und sich zwischendurch vielleicht das eine oder andere gönnen kann.
  • Dann, wenn man keine Angst haben muss, dass man aufgrund eines Krankheitsausfalls sofort die Arbeit verliert.

Werte Anwesende, anders als in vielen Ländern, können wir in unserem System gemeinsam etwas bewegen. Wir können uns für einen umfassenden Arbeitsschutz, sichere Renten und eine faire Entlohnung einsetzen.

Ich habe vorher erwähnt, dass die Politik in die soziale Verantwortung eingebunden ist. Doch wer ist die Politik überhaupt?

Politik, meine Damen und Herren, sind Leute wie Sie und ich. Menschen, die sich für eine bessere Zukunft einsetzen möchten. Wir haben vieles selber in der Hand. Lasst uns heute an die Tausenden von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern denken, welche sich tagtäglich abrackern.

Und lasst uns auch weiterhin unermüdlich dafür einsetzen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Platz in unserer Gesellschaft haben.

Setzen wir uns auch weiterhin ein, dass sich die ehrliche, bodenständige Arbeit lohnt!

Besten Dank für ihre Aufmerksamkeit!

 

Zari DzaferiZari Dzaferi, SP-Kantonsrat
1. Mai 2012, Zug

 

 

 

Rede zum 1. Mai 2012