Sprache zwecks Chancengerechtigkeit: Keine Behördenwillkür, sondern Festhalten am geltenden Recht

von Barbara Gysel, 10. Mai 2016

Leserbrief zur 2. Lesung des Kantonsrates zum EG AuG am Donnerstag, 12. Mai 2016:

Die schwedische Königin Silvia kann’s und die „General Managerin“ von Roche Diagnostics in Rotkreuz, findet „man muss es können“: sich in der Ortssprache im Alltag verständigen. Das schwedische Oberhaupt wurde zum Vorbild erkoren, weil sie, die ursprünglich aus Heidelberg einreiste, sogar mit den Kindern nicht in der Muttersprache, sondern in Schwedisch sprach. Es geht aber um mehr als die Repräsentation einer Nation. Annette Luther von Roche Diagnostics berichtete vor ein paar Tagen beim Anlass zu „Ethik in der Migrationspolitik“ vom „Forum Kirche und Wirtschaft“ über die Unternehmensbemühungen, weltbeste Talente zu gewinnen. Dabei äusserte sie auch ihre Erwartung an die Zuwandernden, dass die alltägliche Verständigung möglich sein sollte.

Unabhängig von den Arbeitsbranchen, der Grösse vom Portmonee und Parteicouleur vernehme ich die Grundhaltung, wonach Sprache für das Ankommen und Integrieren zentral sei. Es geht um das gemeinsame Zusammenleben mit Einheimischen und eine neue Heimat – und für Nichtreiche auch um Chancengerechtigkeit. Im Bundesrecht verweist schon etwa Art. 4 Abs. 4 AuG über die Integration von AusländerInnen auf die Bedeutung von Sprache: „Es ist erforderlich, dass sich Ausländerinnen und Ausländer mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und Lebensbedingungen in der Schweiz auseinandersetzen und insbesondere eine Landessprache erlernen.“ Diese Praxis haben wir bisher in Zug erfolgreich gelebt und auch von der SP konsequent und ohne Ausnahme unterstützt (entgegen anderer Verlautbarungen und Falschmeldungen). Deutscherwerb bildet einen Schlüssel zum Heimischwerden und eröffnet Chancen gerade für jene, die keinen privilegierten Zugang etwa zum Erwerbsmarkt haben. Bei uns gilt im Kanton: Wer keinen automatischen Anspruch aufs C hat, muss beim Beantragen der Niederlassungsbewilligung C Deutschkenntnisse nachweisen, damit er oder sie längerfristig hierbleiben kann (§8 EG AuG). Damit wird gestützt auf Bundesrecht sogar die Grundlage geschaffen, die Niederlassung schon mit fünf Jahren, statt erst zehn Jahren zu erhalten (Art. 34 Abs. 4 AuG zur Niederlassungsbewilligung: „Sie kann bei erfolgreicher Integration, namentlich wenn die betroffene Person über gute Kenntnisse einer Landessprache verfügt, nach ununterbrochenem Aufenthalt mit Aufenthaltsbewilligung während der letzten fünf Jahre erteilt werden.“) Aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse wird bei uns aber niemand ausgewiesen, der Ausweis B ist immer noch möglich.

Unser Zuger Modell hat in der Vergangenheit bestens funktioniert, wie die Regierung verlautbaren liess – ausser bei einer Handvoll Superreicher, weshalb sie für diese Gruppe im Gesetz eine Ausnahmeklausel einbauen wollte (§8 Abs. 2 EG AuG). Leider wurde bei der 1. Lesung im Kantonsrat im Februar 2016 nicht nur diese Sonderklausel abgelehnt, sondern in der hitzigen Debatte anschliessend grad der gesamte Paragraph 8 gekippt. Damit wurde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Am kommenden Donnerstag kann das Parlament den Fehlentscheid in der 2. Lesung korrigieren: wird in der Schlussabstimmung die ganze Vorlage abgelehnt, verbleiben wir beim Status Quo und das ist gut so. Der Kantonsrat wird de facto wählen müssen zwischen bewährtem, geltendem Recht (ohne Ausnahme für Vermögende) oder Behördenwillkür!

Lassen Sie mich dies kurz erläutern: Anspruch auf eine Niederlassungsbewilligung C sieht das Bundesgesetz (leider) nicht vor, sondern nur eine kann-Formulierung (Art. 34 Abs. 2 AuG). Ohne kantonale gesetzliche Grundlage können die Behörden nach eigenem Ermessen entscheiden (Art. 96 Abs. 1 AuG: „Die zuständigen Behörden berücksichtigen bei der Ermessensausübung die öffentlichen Interessen und die persönlichen Verhältnisse sowie den Grad der Integration der Ausländerinnen und Ausländer.“) Das ist reichlich offen formuliert und umso wichtiger werden konkrete Kriterien. Genau bei diesen würde der Kantonsrat bei Zustimmung in der 2. Lesung aber das Heft aus der Hand geben – und sich die parlamentarische Mitsprache künftig verbauen. Anders gesagt: welche Voraussetzungen für eine Bewilligung als erforderlich gelten, welche Ausnahmen zur Anwendung gelangen sollen und welche Kriterien wie bewertet werden – das liegt direkt in der Hand der Behörden. Ohne Einflussmöglichkeiten durch den Gesetzgeber. Es stünde dem Regierungsrat und der Verwaltung frei, Sonderregeln für Superreiche anzuwenden. Die Regierung würde bei ihnen „erhebliche fiskalische Interessen“ geltend machen – analog zu den bundesrechtlichen Bestimmungen zum Aufenthalt, wo sie unter „wichtigen öffentliche Interessen“ aufgeführt werden (Art. 32 Abs. 1 Bst. c VZAE). Eine Verordnung mit Kriterien zur Niederlassung existiert sonst schlicht nicht; die Analogie mit Aufenthaltsbewilligung gemäss Regierungsrat ist insofern rechtlich zulässig, aber ich finde sie gesellschaftlich falsch.

Was folgern wir? Stimmt die Mehrheit des Parlamentes am nächsten Donnerstag in der Schlussabstimmung der EG AuG-Vorlage zu, wird der Willkür von Behörden Tür und Tor geöffnet. Lassen wir es nicht soweit kommen: Schickt die Mehrheit des Kantonsrates die Teilrevision bachab, so bleiben wir beim bewährten geltenden Recht.

Barbara Gysel
Kantonsrätin, Präsidentin SP Kanton Zug, Oberwil

Barbara Gysel

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