Die Akzeptanz von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transpersonen – Menschen, die sich nicht dem Geschlecht zugehörig fühlen, dem sie bei ihrer Geburt zugeordnet wurden – ist in der Schweiz in vielen Bereichen angekommen. Aber nicht überall. Bei diesen Personen kommt eine weitere Dimension dazu, wenn sie Migrationshintergrund haben. Mehrfachzugehörigkeiten können zu Mehrfachdiskriminierungen führen. Die Thematik Migration, sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität bietet einen reichen Fundus für Diskussionen über Gleichberechtigung und Integration. Bisher wird diese Debatte jedoch in der Schweiz kaum geführt.
«Mancherorts wird Homosexualität mit der Todesstrafe geahndet, und selbst wenn die schwulen Söhne von Migranten hier aufgewachsen sind, werden sie in vielen Fällen von der Familie verstossen. » In der Tat bringen solche Aussagen, wie die des Schwulenmagazins «Cruiser» in seiner Sommerausgabe 2015, die Situation von manchen schwulen Personen mit Migrationshintergrund auf den Punkt. Konservative Gruppen mit Migrationshintergrund sind gegenüber Homosexuellen und Transgender-Personen ablehnend eingestellt. Homosexualität kann als etwas Westliches, Dekadentes gesehen werden. Andererseits sind die zitierten Aussagen auch heikel, denn sie bergen ihrerseits das Potenzial von Diskriminierungen und Pauschalisierungen. So wie die Tendenz, dass in der schweizerischen Mehrheitsgesellschaft eine mangelnde Akzeptanz etwa von Schwulen durch Migrantengruppen als ein Zeichen der Rückschrittlichkeit von Migranten per se unterstellt wird.
Zudem gibt es auch hierzulande überholte, religiös-konservative Strömungen, wie die Äusserungen von Bischof Vitus Huonder gegen Homosexuelle 2015 aufgezeigt haben. Auch bleibt Homosexuellen in der Schweiz, im Gegensatz zu zwölf anderen europäischen Ländern sowie Nationen wie Südafrika, Uruguay oder Argentinien, eine gleichberechtigte Form der Ehe bisher verwehrt. Und die Diskriminierung von Homosexuellen und Transgender- Personen ist in der Schweiz rechtlich noch nicht genügend geschützt: Hier sind Diskussionen betreffend die Ausweitung des Antirassismusgesetzes Art. 216 bis StGB um sexuelle Orientierung noch im Gang. Den Fluchtgründen von Menschen, die in ihrer Heimat aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität verfolgt werden, sollten nicht nur von NGOs wie Queeramnesty, sondern auch von staatlicher Seite her im Asylverfahren Rechnung getragen werden.
Ein Überlegenheitsdiskurs ist also nicht angebracht: In Pakistan und Indien existiert ein offiziell rechtlich anerkanntes «drittes Geschlecht», oder in Istanbul und Ankara sind bedeutende Bewegungen im Bereich sexuelle Orientierung bekannt. Ein weiteres Beispiel ist die 2012 in Paris eröffnete Moschee für homosexuelle Muslime, und auch Stimmen in der Schweiz, so etwa Saïda Keller-Messahli vom Forum für einen fortschrittlichen Islam, fordern die Akzeptanz von homosexuellen Beziehungen.
Die Dimensionen von Diskriminierungen rund um die Thematik sexuelle Orientierung und Migration verlaufen also vielschichtig, und sie bergen viel Potenzial: zur gegenseitigen Abgrenzung und Vorurteilen, aber auch zu Gleichstellung und Integration. Es ist zentral, dass wir uns dem auf gesellschaftlicher und politischer Ebene stellen. Dabei sollen auch solche heiklen Themen nicht ausgespart werden. Diesen Dialog nicht zu führen, würde bedeuten, dass man menschenrechtsfeindlichen Kräften das Feld überlässt. Ein wenig Wagemut zu einer konstruktiven Debatte ist angebracht.
Rupan Sivaganesan, SP Kantonsrat, Zug