Interpellation von Philip C. Brunner, Barbara Gysel, Anna Spescha, Andreas Lustenberger, Tabea Zimmermann vom 18. Oktober 2019
Artikel 22 der schweizerischen Bundesverfassung:
«(1) Die Versammlungsfreiheit ist gewährleistet.
(2) Jede Person hat das Recht, Versammlungen zu organisieren, an Versammlungen teilzunehmen oder Versammlungen fernzubleiben.»
Artikel 20 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte:
«(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit zu friedlichen Zwecken.»
Eine Mahnwache auf dem Zuger Landsgemeindeplatz in Solidarität mit den Opfern von Nordsyrien, die auf den 18. Oktober 2019 angesetzt war, wurde auf Empfehlung der Polizei wieder abgesagt.
«Wenn unser demokratische Staat, bzw. die Zuger Polizei nicht mehr in der Lage sind, eine friedliche Mahnwache zu schützen, haben wir ein gravierendes Problem.»[1]
Zum Hintergrund: Der Einmarsch türkischer Truppen in Nordsyrien am 9. Oktober 2019 hat zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen und Opfern geführt, über die in den Folgetagen medial berichtet wurde. Die Türkei-Offensive in Syrien führte zu grosser internationaler Kritik und es wurden erste Kundgebungen in Solidarität mit den Opfern durchgeführt. Die SP und die Juso Kanton Zug reichten am Montag, 14. Oktober 2019 bei der Stadt Zug ein Gesuch um Durchführung einer Mahnwache – mit Reden und Kerzen – am Freitag, 18. Oktober 2019 auf dem Landsgemeindeplatz ein. Zwei Tage später, am Mittwochmorgen des 16. Oktober 2019 stellte die Stadt per Mail die Zustellung der Bewilligung auf postalischem Weg in Aussicht. Der Zuständige wünschte viel Erfolg bei der Durchführung der Mahnwache. Am Mittwochnachmittag traf allerdings der telefonische Bescheid ein, die Bewilligung werde aufgrund der Empfehlung der Polizei doch nicht erteilt werden können. Es war auch die Rede davon, dass am gleichen Abend ein EVZ-Match stattfinden würde. Die OrganisatorInnen mussten aufgrund der fehlenden Bewilligung die Mahnwache in Solidarität mit den Opfern von Nordsyrien wieder absagen.
Der Sprecher der Zuger Strafverfolgungsbehörden, Frank Kleiner, wurde in einer medialen Berichterstattung zitiert: «üblicherweise würden solche Veranstaltungen deutlich früher, rund zwei Monate im voraus, angemeldet.»[2]
Auf Grundlage dieser konkreten Erfahrung stellen die InterpellantInnen dem Regierungsrat die nachfolgenden Fragen.
Zur abgesagten Mahnwache vom 18.10.2019:
- Teilt die Regierung die Überzeugung der InterpellantInnen, dass friedlich geplante Anlässe wie diese Mahnwache aufgrund des aktuellen Weltgeschehens grundsätzlich bestmöglich unterstützt werden sollen?
- Am Freitag, 11. Oktober 2019 (sprich: zwei Tage nach der Türkei-Offensive) fanden in Bern, Basel und Genf sowie in Zürich am Samstag, 12. Oktober 2019 erste Kundgebungen gegen die Militäroffensive in Syrien statt.[3] Weshalb soll es im Kanton Zug im Gegensatz zu anderen Kantonen nicht möglich sein, politisch im öffentlichen Raum mit einer friedlichen Mahnwache kurzfristig auf aktuelles Geschehen zu reagieren? Welches waren für die Polizei in Zug die konkreten Hinweise oder Ansatzpunkte, die zur Nicht-Bewilligung der Mahnwache führten? Inwiefern beeinflusste der geplante Einsatz von Polizeikräften beim EVZ-Match am gleichen Abend den Entscheid, die die Polizei der Stadt Zug empfahl?
- Welches sind die konkreten Gründe, dass die Zuger Polizei nicht die Kapazitäten zu haben scheint, die Sicherheit bei einem «Kleinanlass» wie dieser Mahnwache mit Kerzen gewährleisten zu können?
- Welche konkreten Kriterien werden bei einer «Lagebeurteilung» der Zuger Polizei in einem solchen Kontext berücksichtigt?
- In der Vergangenheit wurden in Zug schon mehrfach Anlässe auch mit kurdischer Beteiligung organisiert. Ein Beispiel: Am 29. September 2001 organisierten verschiedene MigrantInnen die grosse Sternwanderung und Mahnwache auf dem Landsgemeindeplatz zum Gedenken der Opfer des Zuger Attentats vom 27. September 2001 mit. Sie konnte innerhalb zweier Tage organisiert werden. Auch in den letzten Jahren haben sich kurdische Vertretungen am Karfreitag an Mahnwachen für die Opfer von Flucht und Krieg beteiligt, auch zusammen mit religiösen Würdenträgern. Was hat sich im Vergleich von damals zu heute verändert, dass es nun nicht mehr gehen soll?
Generell:
- Wie viele Mahnwachen, Kundgebungen, Demonstrationen o.ä. im öffentlichen Raum im Kanton Zug haben die zuständigen Bewilligungsbehörden in den letzten 5 Jahren bewilligt (gemeint sind nicht Kultur- oder Sportveranstaltungen o.ä.)? Wie viele wurden abgelehnt? Mit welchen Begründungen? Wir bitten um eine detaillierte Auflistung.
- Wie bilanziert der Regierungsrat diese Versammlungen im öffentlichen Raum insgesamt?
- Wie stellt der Regierungsrat sicher, dass die Ausübung der demokratischen Grundrechte, die menschenrechtlich verankerte Meinungs- und Versammlungsfreiheit, auch im Kanton Zug nicht behindert wird?
- Wie fördert und unterstützt der Regierungsrat durch verschiedene Mittel zivilgesellschaftliche Initiativen im Kanton Zug aufgrund des Weltgeschehens mit Bezug zur Schweiz und zu Zug? (Im konkreten Fall betrifft es zum Beispiel auch aus Syrien geflüchtete Menschen, die heute im Kanton Zug leben.)
- Wie hoch beziffert, resp. schätzt der Regierungsrat die finanziellen Aufwände zur Einhaltung der Sicherheit, die dabei angefallen sind? (seitens Behörden als auch OrganisatorInnen)
- Bei Demonstrationen, bei denen die Strasse gesperrt werden muss, müssen die OrganisatorInnen selbst eine Sicherheitsfirma bezahlen (wird nicht über die Polizei abgedeckt). Beim Frauen*streik vom Juni 2019 wurde daher die Demo nur auf dem Trottoir geplant, um die Kosten zu umgehen. Welche Handhabe gelangt zur Anwendung, wenn sich ein Demozug – entgegen dem Willen der OrganisatorInnen – doch auf die Strasse verschiebt? Wie werden die Kosten zur Gewährleistung der Sicherheit aufgeteilt (Kostenteiler OrganisatorInnen und öffentliche Hand)?
[1] Zitat Kantonsrat Philip C. Brunner bei zentralplus, 16.10.2019: https://www.zentralplus.ch/mahnwache-fuer-syrien-abgesagt-aus-sicherheitsgruenden-1634531/?t=f28c#comment-38611
[2] Zentralplus, 16.10.2019 (Link siehe oben).
[3] NZZ, 12.10.2019, online: https://www.nzz.ch/zuerich/die-kurden-mobilisieren-in-zuerich-zur-grossdemonstration-gegen-die-tuerkische-invasion-ld.1514957