Amtsenthebungsverfahren. Vernehmlassungsanwort der SP Kanton Zug

Einführung Amtsenthebungsverfahren (Teilrevision der Kantonsverfassung sowie des Gesetzes über die Verantwortlichkeit der Gemeinwesen, Behördemitglieder und Beamten vom 1. Februar 1979)

Vernehmlassungsantwort der SP Kanton Zug

Gestützt auf Ihre Einladung vom 26. Juli 2017 lassen wir Ihnen hier­mit unsere Vernehmlassungsantwort zukommen.

Anträge:

  1. Es sei vorab davon Vormerk zu nehmen, dass die SP des Kantons Zug die Vernehmlassungsvorlagen Teilrevision der Verfassung des Kantons Zug (Kantonsverfassung, KV) vom 31. Januar 1894 sowie des Gesetzes über die Verantwortlichkeit der Gemeinwesen, Behördemitglieder und Beamten vom 1. Februar 1979 (Verantwortlichkeitsgesetz, VG) in der vorliegenden Form ablehnt.
  2. Der Regierungsrat habe die Vorlage in zweiter Lesung zumindest in folgenden Punkten zu verbessern:
    1. Für die Amtsenthebung von Mitgliedern des Regierungsrats und der richterlichen Behörden muss als untersuchende und entscheidende Amtsenthebungsbehörde schon erstinstanzlich zwingend eine unabhängige, nur dem Recht verpflichtete richterliche Instanz vorgesehen werden;
    2. die richterliche Amtsenthebungsbehörde muss schlank und effizient ausgestaltet sowie fachlich hochkarätig besetzt sein (richterliches Dreiergremium);
    3. das Amtsenthebungsverfahren muss bereits erstinstanzlich so ausgestaltet sein, dass der verfassungsrechtliche Anspruch der beschuldigten Person auf eine Entscheidung binnen angemessener Frist überhaupt eingelöst werden kann;
    4. das Amtsenthebungsverfahren muss bereits erstinstanzlich so ausgestaltet sein, dass es einer medialen Vorverurteilung in keiner Weise Vorschub leistet;
    5. E § 28 VG muss neutral formuliert werden: «§ 28 Amtseinstellung. Die sofortige vorläufige Amtseinstellung ist nur zulässig, sofern das ordnungsgemässe Funktionieren der betroffenen Behörde einzig durch eine sofortige vorsorgliche Amtseinstellung der beschuldigten Person gewährleistet werden kann.»
    6. E § 25 Abs. 1 VG muss prägnant formuliert werden: «Ein Mitglied des Regierungsrats, ein Mitglied oder ordentliches Ersatzmitglied des Obergerichts, des Kantonsgerichts, des Strafgerichts oder des Verwaltungsgerichts, eine Friedensrichterin, ein Friedensrichter, eine stellvertretende Friedensrichterin oder ein stellvertretender Friedensrichter kann vor Ablauf der Amtsdauer des Amtes enthoben werden, wenn es, sie oder er:
      1. die Wählbarkeitsvoraussetzungen nicht mehr erfüllt;
      2. sich als unfähig erweist oder ein anderer Grund vorliegt, der die Belassung im Amt strikt verunmöglicht.


Begründung:

Die SP des Kantons Zug hat die zur Vernehmlassung unterbreitete Vorlage geprüft. Die Ergebnisse sind nachfolgend in Form von Fragen und Antworten zusammengefasst.

  1. Soll der Kantonsrat als politische Behörde über die Abberufung von Amtspersonen entscheiden?

Nach Auffassung der SP des Kantons Zug ist dies aus rechtsstaatlichen Gründen entschieden abzulehnen:

  1. Als rein politische Behörde kennt das Parlament keine schriftliche Begründungspflicht, die rechtsstaatlichen Erfordernissen genügen würde[1]. Auch wenn die vorbereitende Amtsenthebungskommission ihrem Antrag und Bericht an den Kantonsrat eine Begründung beifügt, drücken die Parlamentarier letztlich nur die Ja- oder Nein-Taste. Jeder Amtsenthebungsentscheid des Kantonsrats wird somit voraussichtlich schon aus formellen Gründen wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Art. 29 Abs. 2 BV im Instanzenweg (Verwaltungsgericht, Bundesgericht) aufgehoben werden.
  2. Die Nähe zu einer politischen Partei beeinträchtigt die unvoreingenommene Entscheidung des Kantonsrats[1]. Politischen Missbräuchen, Intrigen und Niederträchtigkeiten wären mit dem Vorschlag des Regierungsrats Tür und Tor geöffnet. Genau dies muss aber ein rechtsstaatlich orientiertes Amtsenthebungsverfahren verhindern[3].
  3. Die Mitglieder des Kantonsrats wären dem erheblichen Vorverurteilungsdruck seitens der Medien weit weniger gewachsen als eine unabhängige richterliche Instanz.
  4. Die Mitglieder des Kantonsrats sind nicht wie Richterinnen und Richter unabhängig und ausschliesslich dem Recht verpflichtet. Die Akzeptanz der Amtsenthebungskommission und des Kantonsrates werden deshalb nicht nur bei der beschuldigten Person, sondern auch in der Öffentlichkeit eher gering sein.
  5. Das Parlament ist schon von seiner Funktion her nicht dazu bestimmt und geeignet, über die Rechte und Pflichten einer beschuldigten Person zu entscheiden. Zur Führung von justizförmigen Verfahren ist der Kantonsrat strukturell und fachlich ungeeignet.
  6. Die vom Regierungsrat vorgeschlagene Organisation mit einer kantonsrätlichen Amtsenthebungskommission von 15 Mitgliedern sowie dem Kantonsrat als Plenum ist auch sonst rechtsstaatlich hochproblematisch. Wie soll ein derart aufgeblähter Behördenapparat das Recht der beschuldigten Person auf eine Entscheidung binnen angemessener Frist (Art. 29 Abs. 1 BV) überhaupt einlösen können? Wie soll eine derartige Regelung vor dem verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgrundsatz (Art. 5 Abs. 2 BV) überhaupt Bestand haben? Die derzeitige Vorlage des Regierungsrats erscheint der SP des Kantons Zug auch in dieser Hinsicht unausgegoren.

 

  1. Wer sollte bei einem Abberufungsverfahren untersuchen und entscheiden?

Aus der Sicht der SP Kanton Zug muss es zwingend ein unabhängiges, nur dem Recht verpflichtetes Justizorgan sein, welches nicht nur die Untersuchung führt, sondern zugleich auch den Entscheid fällt[1].
Es muss – mit anderen Worten – eine Instanz sein, welche die Unabhängigkeitsattribute eines Gerichtes hat (Art. 30 Abs. 1 BV). Um die Behördenorganisation effizient und schlank zu halten und die Verantwortlichkeiten zu bündeln, erscheint der SP ein richterliches Dreiergremium geeignet (namentlich die Präsidien von Obergericht, Strafgericht und Kantonsgericht; bei einem begründeten Ausstand das jeweilige Vizepräsidium oder ein anderes Mitglied des betreffenden Gerichts). Damit ist auch gewährleistet, dass der verfassungsrechtliche Anspruch der beschuldigten Person auf eine Entscheidung binnen angemessener Frist überhaupt eingelöst werden kann.

 

  1. Sind die Rechte der beschuldigten Person gemäss Entwurf ausreichend gewahrt?
  1. Theoretisch – ja:

Der beschuldigten Person werden – richtigerweise – weitreichende Verteidigungsrechte eingeräumt. Gemäss der regierungsrätlichen Vorlage können alle relevanten Entscheide (namentlich der Einleitungsbeschluss, der Einstellungsbeschluss, der Antrag auf Amtsenthebung, der Entscheid betreffend Amtseinstellung und Amtsenthebung sowie sämtliche weiteren verfahrensleitenden und abschliessenden Entscheide) von den Betroffenen binnen 30 Tagen nach der Mitteilung des Entscheids beim Verwaltungsgericht angefochten werden. Damit ist – theoretisch – sichergestellt, dass sich die beschuldigte Person gegenüber politische eingefärbten Entscheiden der kantonsrätlichen Amtsenthebungskommission bzw. des Kantonsrates wenigstens nachträglich (d.h. wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist) an ein unabhängiges Gericht wenden kann.

  1. Praktisch – nein:

Realistisch betrachtet wird die Akzeptanz der Entscheide der Amtsenthebungskommission bzw. des Kantonsrates – aufgrund der rein politischen Zusammensetzung – nur gering sein können. Die beschuldigte Person und die Personen, die eine entsprechende Anzeige eingereicht haben, werden somit die verfahrensleitenden Entscheide der kantonsrätlichen Amtsenthebungskommission voraussichtlich häufig an das Verwaltungsgericht und ggf. auch an das Bundesgericht weiterziehen. Das ist für die beschuldigte Person nicht nur mit erheblichen Kosten, sondern vor allem mit einem ausserordentlich zermürbenden Zeitverlust verbunden. Die damit einhergehenden (unnötigen) Verfahrensrisiken erschweren und verteuern die Verteidigung des – wohl regelmässig anwaltlich vertretenen – Beschuldigten zusätzlich.

 

  1. Politisch eingefärbte Entscheide im Instanzenzug

Würde erstinstanzlich ein unabhängiges, nur dem Recht verpflichtetes richterliches Dreiergremium amten, so könnten die Rechtsmittelinstanzen darauf vertrauen, dass sich die Vorinstanz bemüht hat, rechtlich korrekt und sachlich unvoreingenommen zu entscheiden. Amtet jedoch erstinstanzlich der Kantonsrat, so kann davon erfahrungsgemäss nicht ausgegangen werden. Auch aus der Sicht der Rechtsmittelinstanzen wird die Akzeptanz der Entscheidungen des Kantonsrats nicht sehr hoch sein können. Die SP Kanton Zug ist auch insoweit der Ansicht, dass politische gefärbte erstinstanzliche Entscheide betreffend Amtsenthebung rechtsstaatlich nur zu Komplikationen führen werden. Ein politischen Missbräuchen Vorschub leistendes Amtsenthebungsverfahren ist zudem mit dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismässigkeit (Art. 5 Abs. 2 BV) kaum zu vereinbaren.

 

  1. Keine Vorverurteilung der beschuldigten Person

E § 28 Abs. 1 VG lautet: «Liegen hinreichende Anhaltspunkte für eine Amtsenthebung gemäss § 25 Abs. 1 vor, kann die Amtsenthebungskommission eine sofortige vorläufige Amtseinstellung beschliessen.» Die Formulierung dieser Regelung ist aber schon deshalb hochproblematisch, weil in diesem frühen Zeitpunkt noch gar keine Beweisabnahmen durchgeführt worden sind. Aus der Sicht der beschuldigten Person erweckt eine derartige Begründung zudem den Anschein, das Ergebnis des Amtsenthebungsverfahrens sei gar nicht mehr offen, was die beschuldigte Person zu entsprechenden (unberechtigten oder berechtigten) Ausstandsbegehren gegen die Mitglieder der Amtsenthebungskommission veranlassen kann. Ein Entscheid zu Beginn des Verfahrens mit der Begründung, es lägen «hinreichende Anhaltspunkte für eine Amtsenthebung» vor, stigmatisiert die beschuldigte Person von Anfang an ausserordentlich und begünstigt unzulässige
Vorverurteilungen. Die vom Regierungsrat vorgeschlagene Formulierung nimmt auch nicht auf, dass eine sofortige vorläufige Amtseinstellung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit (Art. 5 Abs. 2 BV) nur in absoluten Ausnahmefällen in Betracht kommen kann. Vorher sind stets mildere Massnahmen zu prüfen. Entsprechend muss E § 26 Abs. 1 VG strikt neutral formuliert werden und könnte wie folgt lauten:

«§ 28 Amtseinstellung. Die sofortige vorläufige Amtseinstellung ist nur zulässig, sofern das ordnungsgemässe Funktionieren der betroffenen Behörde einzig durch eine sofortige vorsorgliche Amtseinstellung der beschuldigten Person gewährleistet werden kann.»

 

  1. Keine unklar formulierten Amtsenthebungsgründe

Die vom Regierungsrat vorgeschlagenen Abberufungsgründe werfen mehr Fragen auf als sie beantworten – namentlich E § 25 Abs. 1 Bst. a VG. Was ist eine «schwere» Amtspflichtverletzung? Wann liegt «Amtsunwürdigkeit» vor? Wann ist die Fähigkeit, das Amt auszuüben, auf Dauer verloren? Diese unklare Regelung muss aus Gründen der Rechtssicherheit praktikabel formuliert werden. Analog zur Regelung im Kanton Fribourg (vgl. Justizgesetz [JG] vom 31. Mai 2010, Art. 107 Abs. 1) könnte E § 25 Abs. 1 VG prägnant wie folgt gefasst werden:

«Ein Mitglied des Regierungsrats, ein Mitglied oder ordentliches Ersatzmitglied des Obergerichts, des Kantonsgerichts, des Strafgerichts oder des Verwaltungsgerichts, eine Friedensrichterin, ein Friedensrichter, eine stellvertretende Friedensrichterin oder ein stellvertretender Friedensrichter kann vor Ablauf der Amtsdauer des Amtes enthoben werden, wenn es, sie oder er:

  1. die Wählbarkeitsvoraussetzungen nicht mehr erfüllt;
  2. sich als unfähig erweist oder ein anderer Grund vorliegt, der die Belassung im Amt verunmöglicht.

 

Mit der Formulierung «die Belassung im Amt verunmöglicht» wird der Grundsatz unterstrichen, dass es sich bei der Amtsenthebung nur um die «ultima ratio» handeln kann und darf. Primär sind stets mildere Massnahmen zu prüfen (Art. 5 Abs. 2 BV).

 

  1. Die SP des Kantons Zug lehnt die vom Regierungsrat vorgeschlagene Vorlage in der vorliegenden Form ab. Sie tritt stattdessen ein für: a) ein rechtsstaatlich ausgestaltetes Amtsenthebungsverfahren; b) eine unabhängige, richterliche Untersuchungs- und Entscheidbehörde (Art. 30 Abs. 1 BV); c) effektive Verteidigungsrechte der beschuldigten Person.

Aufgrund seiner Feststellungen im Rahmen der Administrativuntersuchung beim Kantonsgericht Zug hat alt Bundesrichter Niccolò Raselli dem Kanton Zug dringend geraten, «gesetzlich ein Abberufungsverfahren zu schaffen, das rechtsstaatlichen Anforderungen genügt[1]». Das vom Regierungsrat in erster Lesung vorgeschlagene Amtsenthebungsverfahren genügt diesen Erfordernissen aus den eben dargelegten Gründen offenkundig nicht. Die Mängel der derzeitigen Vorlage sind umso unverständlicher, als der Regierungsrat in seinem Bericht und Antrag vom 12. August 2014 noch ausdrücklich auf Folgendes hingewiesen hatte: «Die Möglichkeit einer Amtsenthebung enthält ein gewisses Missbrauchspotenzial. Ein Amtsenthebungsverfahren darf nicht dazu führen, dass sich eine Behörde ohne Vorliegen eines sachlich gerechtfertigten Grundes eines ungeliebten oder unbequemen Mitgliedes entledigen kann. Ein leichtfertig oder unbegründet eingeleitetes Amtsenthebungsverfahren kann der betroffenen Person sowie auch der Behörde ausserdem aufgrund der öffentlichen Vorverurteilung sowie des medialen Interesses grossen Schaden zufügen.[5]»

Sollte der Regierungsrat die rechtsstaatlichen Mängel der derzeitigen Vorlage in der zweiten Lesung ausmerzen, so wird die SP Kanton Zug eine entsprechend angepasste Regelung mittragen können.

 

Freundliche Grüsse

 

Barbara Gysel
Präsidentin, Kantonsrätin

[1] Niccolò Raselli, Amtsenthebung, «Die Schweizer sind blauäugig», NZZ, https://www.nzz.ch/schweiz/die-schweizer-sind-blauaeugig-1.18630993.

[3] Genau dies soll aber mit einem Amtsenthebungsverfahren vermieden werden können (statt vieler: Thomas Sägesser, Es muss Erhebliches vorgefallen sein. Luzerner Zeitung [http://www.luzernerzeitung.ch/nachrichten/zentralschweiz/zug/Es-muss-Erhebliches-vorgefallen-sein;art9648,913619]).

[4] Statt vieler: Niccolò Raselli, Kaltstellung durch Kollegen als faktische Abberufung, in: Justice – Justiz – Giustizia 2015/2, Rz 21; derselbe: Amtsenthebung, «Die Schweizer sind blauäugig», NZZ, https://www.nzz.ch/schweiz/dieschweizer-sind-blauaeugig-1.18630993.

[5] Vorlage Nr. 2276.1 – 14398; S. 9.

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