Interview erschienen in der Neuen Zuger Zeitung vom 2. September 2015
Barbara Gysel, die Chancen, dass Sie in die Kleine Kammer gewählt werden, sind relativ gering. Wieso haben Sie sich dennoch für eine Kandidatur entschieden?
Es gibt in Bern keine jüngeren Personen, keine Frauen und keine Linken, die Zug vertreten – aus meiner Sicht ist das ein echtes Manko. Ausserdem wollen wir den Wählerinnen und Wählern eine Alternative bieten und das Feld nicht einfach den bürgerlichen Politikern überlassen. Die Zuger Bevölkerung soll eine echte Wahl haben. Wenn Frauen und jüngere Kandidaten auf einer Liste sind, kann das genau diese Gruppen motivieren, an die Urne zu gehen.
Aber lohnt es sich denn bei dieser Ausgangslage überhaupt, Wahlkampf zu betreiben?
Auf jeden Fall. Der Ständerat ist seit jeher bürgerlich besetzt. Trotzdem hat sich über einen Zeitraum von ungefähr 40 Jahren der Anteil von Linken mehr als verdreifacht. Es braucht eine gewisse Beharrlichkeit, denn unsere Hoffnung ist es, einmal einen linken Ständeratssitz zu erreichen. Das wird aber garantiert nicht im Jahr 2015 sein. Trotzdem wollen wir dranbleiben und an diesem längerfristigen Ziel arbeiten. Und ich bin überzeugt, diese Arbeit ist keine Sisyphusarbeit. Der Schwung ist da.
Bei den letzten nationalen Wahlen hat die Linke einen Sitz verloren. Was will die SP dieses Mal besser machen?
Unser Ziel ist es, insgesamt ein besseres Resultat zu erzielen. Wir setzten letztes Mal auf eine Liste, jetzt gab es einen Strategiewechsel mit fünf Listen. Dass wir als kleine Partei keine Vertretung im Regierungsrat und auf eidgenössischer Ebene haben, macht die Situation sicher nicht einfacher. Aber ich freue mich, dass wir mit insgesamt 16 Leuten antreten. Das zeigt, dass wir intergenerationell antreten und wir kein Nachfolgeproblem haben. Wie sich das auswirkt, werden wir später evaluieren müssen.
Haben Sie sich persönlich ein Ziel gesetzt, wie viele Stimmen Sie erzielen wollen?
Nein. Meine persönlichen Wahlchancen stehen nicht im Vordergrund. Für mich zählt das Gesamtziel der Partei. Ich leiste dafür einen Beitrag, der sich letztlich auf das Gesamtergebnis auswirken und so eine Ausstrahlung auch auf kommende Jahre haben kann. Ein persönliches Ziel würde ich definieren, wenn meine Wahl realistisch wäre. Das heisst aber nicht, dass ich für die Arbeit in Bern nicht bereit wäre!
Wie würden Sie den bürgerlich dominierten Kanton Zug, der häufig auf die Tiefsteuerpolitik und den Reichtum reduziert wird, in Bern vertreten?
Manchmal stört mich dieses «Zug- Bashing» ein bisschen. Es stimmt zum Beispiel nicht, dass sich Nicht-Reiche in Zug kein Leben leisten können. Alleinerziehenden Müttern etwa geht es hier verhältnismässig gut. Beim Mittelstand hingegen haben wir ein Problem, das wir etwa steuerlich zu entlasten suchten. Dank der SP gibt es bei den Nicht-Reichen eine jährliche Entlastung von 27 Millionen. Gleichwohl zeichnet sich Zug durch einen erträglichen sozialen Mix aus, auf den ich stolz bin. Und dazu haben die linken Parteien ihren Teil beigetragen. Diese Vielfalt kann eine linke Person genauso gut vertreten wie eine bürgerliche.
Was wäre denn Ihre erste Amtshandlung als Ständerätin?
Ich würde die landwirtschaftlichen Subventionen kürzen und Biobauern viel stärker bevorzugen. Das sage ich, wohlgemerkt, als Bauerntocher (lacht). Und mein Vater war kein Biolandwirt. Aber vielleicht übernimmt Peter Hegglin als Biobauer ja diesen Part …
Einer Ihrer Schwerpunkte ist die Gleichstellung. Weshalb braucht es eine Frau, die Zug in Bern vertritt?
Zug ist einer der wenigen Kantone, die noch nie eine Frau nach Bern geschickt haben. Dass Männer politisch privilegiert wurden und werden, ist für mich ein dunkles Kapitel, etwas, das es zu verändern gilt. Die Schweiz verzeichnet beispielsweise die höchste Erwerbsquote von Frauen, aber das tiefste Erwerbsvolumen. Das zu ändern, braucht bessere Rahmenbedingungen. Und dafür wiederum braucht es eine angemessene Vertretung der Frauen in der Politik. Und: Gleichstellung ist auch Männersache: Frauen und Männer müssen Frauen auf ihren Wahlzettel schreiben.
Mit welchen weiteren politischen Themen beschäftigen Sie sich am liebsten?
Es fällt mir schwer, mich hier auf einige wenige zu beschränken, hier zwei Beispiele: Ich interessiere mich sehr für Steuer- und Finanzpolitik, weil dieser Bereich in Zug viel beeinflusst. Aber auch Umwelt- und raumplanerische Fragen liegen mir am Herzen.
Sie haben Kulturmanagement studiert und arbeiten als Projektleiterin beim Bund. Ebenso sind Sie an der Uni tätig. Welche Erfahrungen aus der Wissenschaft oder Ihrem Beruf bringen Sie für die Arbeit in Bern mit?
Ich habe für mich zu diesem Thema eine Art Formel gefunden: Die Politik sucht nach Wirkung, während die Wissenschaft eher nach Wahrheit sucht. Seit ich politisiere, merke ich, dass man auch mit wiederholten Lügen gewisse Wirkungen erreichen kann. Das kann aber nicht das Ziel sein. Mir ist es wichtig, wahrhaftige, nachhaltige Lösungen zu finden. Das bedingt einen gewissen Aufwand; man muss auch Politiker/innen und Parteiprogramme immer wieder konstruktiv-kritisch hinterfragen.
Sie sind politisch sehr aktiv, reichen zahlreiche Vorstösse ein. Was motiviert Sie für die politische Arbeit?
Für mich ist es ein tolles Privileg, mitgestalten zu dürfen und Verantwortung übernehmen zu können. Ich habe noch so viele Ideen, die ich umsetzen möchte. Und mit jeder Idee öffnen sich weitere Türchen. Meine nächsten Vorstösse sind bereits in der Pipeline.
Sie politisieren nun in der dritten Legislatur im Kantonsrat und seit Anfang Jahr auch im Grossen Gemeinderat der Stadt Zug. Hatten Sie noch nie genug von der politischen Arbeit?
Ich habe auch schon einmal gezweifelt, dann aber nach reiflicher Überlegung gemerkt, dass mir die Politik zu wichtig ist. Ich arbeite wieder Teilzeit und habe so mehr Zeit für das politische Engagement. Mit der Arbeit im GGR lerne ich nun noch eine weitere Ebene kennen, das ist sehr interessant.
Auch im ehrenamtlichen Bereich sind Sie sehr aktiv, etwa als Präsidentin von WWF Zug. Was bedeuten Ihnen diese Engagements?
Seit ich ein Teenager bin, engagiere ich mich ehrenamtlich. Noch vor meinem 20. Lebensjahr bin ich Co-Präsidentin vom WWF geworden, und als ich in die Politik ging, war ich bereits in sieben Organisationen aktiv. Ich kann durch dieses Engagement etwas zurückgeben und komme, weit über mein persönliches Umfeld hinaus, mit vielen Menschen und Themen in Kontakt. Das bereichert. Ich werde, auch wenn ich einmal nicht mehr politisiere, sicher noch in irgendeiner Form ehrenamtlich tätig sein.
Mit welchen drei Adjektiven würden Sie sich als Politikerin beschreiben?
(überlegt lange) Vielfältig, sozial und weitsichtig. Mein Anliegen insgesamt ist es auch, einen Beitrag an die Glaubwürdigkeit der Politik zu leisten.