Es gibt Themen, die offenbar auch bei uns die Menschen noch bewegen und zu einer aktiven Teilnahme am Politgeschehen animieren. In einer eigentlichen Leserbriefschlacht wurden in den letzten Wochen die Vor- und Nachteile eines Tunnels immer wieder aufgezeigt, zwar selten mit neuen und überraschenden Ideen, aber immer mit sehr viel Herzblut und Engagement. Menschen wurden zu Leserbriefschreiberinnen und Leserbriefschreibern oder zu Podiumsbesucherinnen und Podiumsbesuchern, die ihre Meinung sonst kaum öffentlich kundtun oder selten bis nie an einer politischen Veranstaltung teilnehmen. In jeder noch so geselligen Runde kam das Gespräch irgendwann auf das alles beherrschende Thema, auf den Tunnel. Kaum jemand konnte sich diesem Thema entziehen,die Meinung jedes Einzelnen war gefragt, auch wenn immer wieder die gleichen Argumente wiederholt wurden.
Man konnte sich oft nicht mehr auf vertraute Kollegen oder auf Parteifreunde verlassen. Nicht selten wurden auch Parteikollegen in den Debatten zu Gegnern. Selbst in sonst homogenen Gruppen gingen die Meinungen auseinander. Wir sind uns gewohnt, dass wir wenigstens in unserem politischen Umfeld nicht auch noch für unsere Meinung kämpfen müssen. Schliesslich verbindet uns ja die gemeinsame Haltung in den gesellschaftspolitisch wichtigen Themen. Wir wurden stärker als gewohnt aus dieser Komfortzone herausgerissen. Ein emotionaler Abstimmungskampf geht am Sonntag zu Ende – mit einer hoffentlich dem Abstimmungskampf entsprechenden Stimmbeteiligung.
In den Gemeinden standen oder stehen in diesen Wochen die Gemeindeversammlungen an. Die Wogen im Vorfeld dieser Versammlungen dürften wohl bedeutend kleiner ausfallen. Sehr schnell wird wiederum der Alltag einkehren mit einer Hand voll Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die vielleicht über nicht ganz so emotionale Themen entscheiden, immerhin jedoch über die Rechnungen des vergangenen Jahres und über etliche Sachgeschäfte. Einen vorläufigen Tiefpunkt bei der Stimmbeteiligung erreichte im April wohl der Kanton Zürich: Lediglich 32 Prozent der stimmberechtigten Bevölkerung nahmen an den Kantons- und Regierungsratswahlen teil, an Wahlen, die immerhin die gesellschaftspolitische Marschrichtung für die nächsten vier Jahre vorgeben.
Wir alle sind aufgerufen, uns nicht nur bei einzelnen emotionsgeladenen Sachgeschäften eine Meinung zu bilden und das politische Leben aktiv mitzugestalten. Es geht bei Wahlen und Abstimmungen immer um Themen, die uns als Einwohnerinnen und Einwohner etwas angehen und die sich in irgendeiner Form auf uns und unser Leben auswirken. Nehmen wir unsere Verantwortung für unsere Gesellschaft und für die Politik auch bei weniger spektakulären Themen und Sachgebieten wahr und verhindern wir den Rückfall in den Politalltag, in dem ein paar wenige über die Mehrheit bestimmen. Die Demokratie lebt von der Teilnahme aller an den politischen Diskussionen und an den politischen Prozessen.