Sprachkritik im Kantonsrat

von Barbara Gysel, 31. August 2014

Unter dem Begriff „geschlechtersensible Sprache“ (oder sprachliches gendering), sind Anpassungen in der Sprache zu verstehen, welche die Gleichstellung der Geschlechter in der Orthographie und Vokabular auszudrücken vermögen. Obschon heute in den meisten Bereichen selbstverständlich geschlechtersensible Sprache verwendet wird, heisst das nun nicht, dass das Thema überflüssig geworden wäre, wie das die SVP jüngst im Zuger Kantonsparlament glaubhaft machen wollte. Die Forderung der SVP, die weibliche Form in den Gesetzestexten aus dem Sprachgebrauch zu streichen, ist schwer nachvollziehbar, und man/frau muss nicht der kritischen Denktradition der feministischen Linguistik anhängen, um sich über eine solche Forderung zu empören. Und daher haben wohl das allererste Mal in der Geschichte des Zuger Parlaments sämtliche Frauen im Zuger Kantonsrat – über alle Parteigrenzen hinweg – gemeinsam reagiert und den Vorstoss nach ausschliesslich weiblicher Schreibweise in den Erlassen eingereicht. Es ist als eine „Rehabilitationsmassnahme“ zu sehen. Schliesslich waren sämtliche Texte über Jahrzehnte nur in der männlichen Form gehalten.

Wer glaubt, dass der explizite Gebrauch beider Geschlechter in der Sprache unnötig sei, da Frauen in der Schweiz Gleichstellung erreicht und dies nicht mehr über die Sprache ausdrücken müssten, irrt. Gleichstellung umfasst natürlich weit mehr als sprachliche Sensibilität (und würde auch für den Kantonsrat reichlich Stoff bieten). Die geschlechtersensible Sprache ist dennoch eine der Errungenschaften aus jahrzehntelangen Diskussionen um die Gleichstellung der Geschlechter. Die Handhabe der Geschlechterformen in der Sprache ist weniger ein linguistisches als ein soziologisches Phänomen, denn die Sprache ist ein Spiegel des Denkens in einer Gesellschaft.

Nicht „mitgemeint sein“ sondern explizite Differenzierung ist hier das Credo, was durch eine geschlechtersensible Sprache, welche mit Sichtbarmachen der Geschlechterformen (liebe Parlamentarierinnen und Parlamentarier) oder Neutralisierung arbeitet (Parlaments-Mitglieder, Kandidierende), angestrebt wird. Bezüglich der entsprechenden Diskussion im Parlament des Kantons Zug ist positiv zu werten, dass – abgesehen von einigen Ausnahmen – die meisten Politikerinnen und Politiker durchaus sprachlich geschlechtersensibel sind. Nun werden wir mit der Doppelnennung weiterfahren und das ist nicht schlecht. Gleichstellung muss auf allen Ebenen ansetzen, die Sprache ist eine von ihnen. Alles andere dauert wohl etwas länger.

Barbara Gysel, Kantonsrätin, Oberwil

 

«Mitgemeint sein» reicht nicht aus. Leserbrief vom Barbara Gysel, Neue Zuger Zeitung vom 3. September 2014 (pdf)

Barbara Gysel

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