Umsichtig statt einseitig

von Barbara Gysel, 27. Januar 2016

Sachpolitik unterscheidet sich von Populismus dadurch, dass die Welt nicht nur aus Ja oder Nein besteht. Komplexe Fragestellungen verkaufen sich aber schlecht. Die Regierung schlägt dem Kantonsrat vor, dass niederlassungswillige AusländerInnen von „hohem öffentlichen Interesse“ kein Deutsch nachweisen müssen. Diesen Vorschlag lehnt die SP in der Konklusion „rundweg“ ab, nachzulesen in der
Vernehmlassungsantwort von Ende März letzten Jahres.

Dennoch lohnt sich ein differenzierter Blick. Seit dem 1. Mai 2013 ist mit §8 EG AuG eine Bestimmung und seit dem 15. Juli 2013 die darauf basierende Verordnung in Kraft, wonach gilt: wer nicht ohnehin Anspruch auf die Niederlassung hat, muss Deutsch nachweisen. Man war sich von Beginn weg bewusst, dass Personen aus dem EU/Efta-Raum, aus Staaten mit bilateralen Niederlassungsvereinbarungen oder durch Ehe oder eingetragene Partnerschaft damit von vorneherein ausgenommen sind.

Die SP unter Federführung von Markus Jans und Eusebius Spescha und Teile der Grünen haben dazumal in der Schlussabstimmung im Kantonsrat die verbindliche Sprache für Niederlassungswillige aus sozialer Überzeugung unterstützt: Menschen ohne Privilegien auf dem Arbeitsmarkt oder in Gesellschaft sollen mehr Chancengerechtigkeit erfahren. Das gilt in mindestens zweifacher Hinsicht;

      • erstens, indem Drittstaatsangehörige mit Deutsch schon nach 5 statt erst nach 10 Jahren ein C beantragen können (Art. 34 Abs. 4 AuG). Damit erhalten sie einen reellen Anreiz und die gleiche Ausgangslage wie Personen aus dem EU/Efta-Raum.
      • Zweitens: Sprache ist einer der Schlüssel zu Integration und Chancengleichheit.

Das Zuger Modell koppelt Sprache – anders als etwa Basel – an die Niederlassung (C-Ausweis) und nicht an den Aufenthalt (B-Ausweis). Die Grundidee funktioniert, wie die Regierung in ihrem Bericht vom 30. Juni 2015 für diese Zielgruppe positiv bilanziert, „[…] denn bei gewissen Gruppen von Ausländerinnen und Ausländern zeigt sich erfreulicherweise tatsächlich eine erhöhte Bereitschaft zum Erlernen der Sprache bzw. zum Ablegen von entsprechenden Prüfungen ‒ teils sogar zu einem höheren als dem geforderten Niveau.”

Es ging nie darum, sämtliche AusländerInnen einer Verpflichtung zu unterziehen. Zug schaffte es vielmehr, mittels Sprache einen Anreiz zu früher Integration und zu mehr Chancengleichheit zu finden. Insofern entsprach der Wille des Gesetzgebers dem so genannten Equity-Prinzip, es geht um angemessene Gleichberechtigung („Wer’s nötig hat, dem wird gegeben“) und nicht um absolut gleiche Behandlung. Eine Veranschaulichung aus dem öffentlichen Verkehr: bei der ZVB finden Personen mit eingeschränkter Mobilität reservierte Plätze. Im Kontext Migration ist es ein individueller plus volkswirtschaftlicher „Brainwaste“, wenn eine ausgebildete Buchhalterin aus der Türkei während zehn Jahren putzt und unglücklich ihre Ressourcen verliert.

Um das zu beheben, brauchen wir gezielte Förderung und keine Giesskanne. Vor dem Gesetz gilt die „absolute Gleichbehandlung“, Equality, bei AusländerInnen nicht. Allein die Ausweiskategorien N, F, S, G, L, B oder C und ihren Variationen führen zu unterschiedlichen Rechten und Pflichten. Nun will die Regierung wie erwähnt mit §8 Abs. 2 EG AuG Superreiche & Co. von der Sprachverpflichtung befreien. Es ginge jährlich um null bis zwei Fälle von Personen mit „wichtigen öffentlichen Interessen“, was gemäss Art. 32 Abs. 1 VZAE kulturell, staatspolitisch, fiskalisch oder strafrechtlich begründet sein kann.

Dass sie Deutsch lernen sollen, um mehr Chancengleichheit in der Gesellschaft zu erhalten, kann man im Sinne von Equity zwar nicht erwarten. Die Ausnahmeregelung ist aber heikel, weil sie das rechtliche Gleichheitsgebot, die Equality, verletzt. Das ist Grund, die vorgeschlagene Modifikation abzulehnen.

Trotzdem soll die Komplexität der Frage nicht unterschätzt werden. Dazu gehört das Bewusstsein, „Reichen-Bashing“ und „linken Rassismus“ gegen ausländische Reiche zu vermeiden. Manche Stellungnahmen, die ich in Zug seit Jahren lese oder höre, interpretiere ich leider als Anti-Ausländerstimmung gegen Reiche und Superreiche. Wir würden „unsere Heimat verkaufen“ heisst es auch von Linken. Ressentiments oder Diskriminierung sind bei vermögenden MigrantInnen aber genauso fehl am Platz wie bei nichtreichen, und egal, ob sie von rechts oder links stammen. Auch wird oft ausser Acht gelassen, dass wir mehr Zuwandernde aus anderen Kantonen (3‘666 Personen im Jahr 2014) und weniger aus dem Ausland (3‘166 Personen) nach Zug haben.

Die Änderung beim §8 Abs. 2 vom EG AuG lehnen wir aus Equality-Gründen ab – wohlwissend, dass die soziale Realität eine vielschichtigere ist als die populistische Debatte.

Barbara Gysel, Kantonsrätin, Präsidentin SP Kanton Zug, Oberwil b. Zug

→ Kurzfassung des Textes in der Zuger Woche vom 27 . Januar 2015 (pdf)

Barbara Gysel

Barbara Gysel